Gestern auf dem Heimweg habe ich mit Tamer, meinem Mitgründer bei sonntagmorgen Kaffee, über das Verhalten von Menschen am Markt und die unterschiedlichen Sichtweisen darauf gesprochen. Er (Wirtschaftsinformatiker) und ich (Kommunikationswissenschaftler, also von Haus aus eher soziologisch geprägt) waren uns im Grundsatz einig, dass die Annahme rationalen Verhaltens zwar bequem, aber unzureichend ist.
Wirtschaftswissenschaftler arbeiten in der Regel mit mathematischen Modellen und konstruieren Zusammenhänge als Formeln. Diese greifen nur, wenn man Rationalität unterstellt und tendieren zu starren Ursache-Wirkung-Ketten. Geschäftsideen und Strategien werden anhand dieser Modelle und scheinbar offenkundiger Einflussfaktoren bewertet: Absatzmarkt, Konkurrenzsituation, Markteintrittsbarrieren etc. (Klar spielt darüber hinaus das Team eine entscheidende Rolle und viele Investoren haben das erkannt, aber hier geht es um die Geschäftsidee an sich.).
Ein Fehler, wie wir denken, denn Märkte werden von Menschen gemacht, und die verhalten sich, von außen betrachtet, bei weitem nicht immer rational. Den ersten Punkt setzt zum Beispiel das Cluetrain-Manifest voraus, allerdings gehen die Verfasser davon aus, dass die Märkte durch die fortschreitende Vernetzung intelligenter werden. Da bin ich mir noch nicht so sicher.
Nach rationalen Kriterien wären einige der bekanntesten und erfolgreichsten Firmen der Welt nicht finanziert worden, attestiert Andreas Göldi in seinem kurzweiligen Beitrag über die Erfolgsfaktoren von Geschäftsideen. Er schreibt, dass durch die immer häufigere Anwendung von Erkenntnissen aus Physik, Biologie, Informatik und Gehirnforschung das Bild der Wirtschaft nicht einfacher, sondern im Gegenteil komplexer werde. Wen wundert’s. Ein gutes Modell vereinfacht die Dinge so weit wie möglich und behält so viel Komplexität wie nötig, und je nach Erkenntnisinteresse kann für ein und denselben Vorgang ein anderes Modell passend sein.
Was sind denn eigentlich „der Markt“ oder „die Märkte“? Gespräche, laut Cluetrain. Stimmt, meine ich: Ich stütze mich, vielleicht einfach aufgrund meiner eingangs erwähnten Prägung, gern auf einen ursprünglichen Transfer aus der Biologie: die Systemtheorie nach Luhmann. Systeme bestehen in diesem Modell aus Kommunikation. Geld oder Macht sind symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, die die Fortführung der Kommunikation sicherstellen. Kommunikation in einem System erfolgt immer im Code des jeweiligen Systems, zum Beispiel „zahlen – nicht zahlen“ in der Wirtschaft.
Faszinierend an der soziologischen Systemtheorie ist ihre schier unbegrenzte Anschlussfähigkeit. Hat man das Zusammenspiel aus System, Code und Kommunikationsmedium einmal verinnerlicht, fällt einem die gemeinsame Betrachtung zum Beispiel von Politik, Recht und Wirtschaft viel leichter. Natürlich ist es auch wieder nur ein Modell von vielen, ein Ausschnitt des Erfassbaren, aber es hilft, Zusammenhänge jenseits des eigenen Systems zu verstehen. Dem einen oder anderen Zahlenreiter würde etwas soziologischer Input wohl gut tun, um zu erkennen, was seine Standortentscheidung, Rationalisierung, Preispolitik etc. ist: Kommunikation.