Archive for Mai, 2008

Das Problem der Abwesenheit

6. Mai 2008

Beim Barcamp Leipzig ist es mir wieder besonders aufgefallen: Kaum einer ist völlig präsent. Fast alle befinden sich, während man einen gemeinsamen Tag oder Abend verbringt, noch in anderen Sphären. Ich nehme mich da nicht aus. Wir schreiben Twitter-Updates, checken Mails – und selbst wenn wir mal kein Gerät als Kommunikationsbarriere vor der Nase haben, sind wir mit unseren Gedanken woanders, auf jeden Fall nicht anwesend.

(Disclaimer: Ich finde Twitter toll. Und werde weiterhin meine Mails unterwegs abrufen. Aber Multitasking ist womöglich der größte Selbstbetrug des Jahrzehnts.)

Beim Versuch, Uni, Firma und Privatleben im Kalender unterzubringen erwische ich mich andauernd dabei, während der einen Aufgabe schon oder noch gedanklich bei der anderen zu sein. Die Folge ist ein permanent schlechtes Gewissen und eine unproduktive Form von Stress, unter deren Einfluss man keiner Aufgabe wirklich gerecht werden kann und – noch schlimmer – nicht richtig genießt. Ich leihe mir mal ein paar Worte (und danke Anja fürs zumailen):

„Das Hechelnde ist jedenfalls keine Zeitform, die dem Denken gut bekommt. Dort, wo das Hecheln im Medien- und Bildungsbetrieb die Leitgeschwindigkeit geworden ist, hat nicht nur der öffentliche Intellektuelle ein Fokus-Problem. Dort hat jedwedes Denken ein Fokus-Problem, jedenfalls ein solches Denken, aus dem Urteilskraft und nicht das Abhaken irgendwelcher Stichworte spricht. Dort, wo Zeiterfahrung nur noch als Fristerfahrung vorkommt, hat das Denken in übergreifenden Perspektiven kaum Chancen. Damit wird aber auch der Unterschied zwischen „wichtig“ und „dringlich“ eingeebnet. Alles Dringliche wird für wichtig gehalten, das Wichtige selbst gerät aus dem Blick, weil die Last des vorher „zu Erledigenden“ es gleichsam erdrückt. Übrig bleibt das unbestimmte Gefühl, das man zu „nichts“ mehr kommt- weder im Handeln, noch im Denken.“
(Christian Geyer)

Wer versucht, alles mitzunehmen und überall zu sein, der kommt nirgendwo an. Mein Vorsatz für die Zukunft: anwesend sein. Mehr ausblenden um dem Hier und Jetzt gerecht zu werden.